Lieferengpässe: So managt der Mittelständler RAFI aus Berg bei Ravensburg die Situation

2022-07-30 12:27:25 By : Ms. Shoes Xingshunda

Die Kunden auf keinen Fall hängen lassen

Fehlende Vorprodukte und teure Rohstoffe setzen die Metall- und Elektro-Industrie in Baden-Württemberg unter Druck. Fünf Mitarbeiter von RAFI berichten, wie sie die Krise erleben und die Probleme wuppen.

Berg bei Ravensburg. Fehlende Teile und teurere Zulieferungen haben auch bei RAFI den Arbeitsalltag durcheinandergewirbelt. Der Mittelständler mit 1.200 Mitarbeitern am Stammsitz Berg ist ein Weltmarktführer für Bediensysteme und Elektronikprodukte. Das oberschwäbische Unternehmen produziert Touchpanels, Displays, Joystick-Plattformen, Steuermodule, Befehls- und Meldegeräte, Kurzhubtaster und Signalleuchten für Kunden in aller Welt. Dabei beliefert es viele Branchen: vom Maschinen- und Nutzfahrzeugbau über Haustechnik und Hausgeräte bis hin zu Telekommunikation, Medizintechnik oder Robotik. 2021 hat RAFI eine Taskforce gebildet, um die Lieferprobleme zu managen.

Fünf Mitglieder dieses wichtigen Teams haben beim aktiv-Besuch von ihren Erfahrungen berichtet:

Carmen Köberle, Produktmanagement

„Ich habe diese Taskforce geleitet, die sich ausschließlich um die Materialbeschaffung gekümmert hat. Wir haben erlebt, dass anstelle von 1,5 Tonnen nur 500 Kilo geliefert wurden – die nächste Lieferung sollte dann ein erst ein halbes Jahr später kommen. So lange können wir unsere Kunden aber nicht warten lassen!

Sehr knapp war unter anderem ein spezielles Kunststoffgranulat. Wenn wir dies durch ein anderes Material ersetzen, müssen wir das Material erst qualifizieren. Das heißt: auf Tauglichkeit prüfen und eine bestimmte Zulassung in den USA beantragen. Das kostet viel Zeit und Geld. Kunststoff ist inzwischen zum Glück wieder verfügbar, aber bei den Elektronikbauteilen ist es immer noch kritisch.“

Jürgen Schoch, Einkauf

„Aus Kunststoffgranulat fertigen wir eigene Spritzgussteile, zum Beispiel für Not-Halt-Schalter. Das Material ist erheblich teurer geworden. Pro Quartal kostet es mindestens 9 Prozent, manchmal aber auch 40 bis 50 Prozent mehr. Da spielt auch eine Rolle, dass die Kunststoffherstellung sehr energieintensiv und gaslastig ist. Ein Mikrochip, der früher 2,50 Euro gekostet hat, kann jetzt 70 bis 80 Euro kosten. Fast täglich flattert irgendeine Preiserhöhung herein.

Auch die Lockdowns in China spüren wir in Form von Lieferverspätungen bei Kabeln, Elektronikbauteilen oder Spritzgusswerkzeugen. Oft ist außerdem unklar, wie die Ware transportiert werden kann: Fährt ein Schiff oder klappt es mit der Bahn? Letzteres ist jetzt auch problematisch, weil der Bahnverkehr durch Russland nicht mehr zuverlässig funktioniert.“

Daniel Brucker, Vertriebsunterstützung

„Ich bin Projektleiter im LCM-Team, das die Änderungen an unseren Produkten koordiniert, prüft und umsetzt. Die Engpässe sind für uns eine große Herausforderung, weil sie so kurzfristig kommen und wir sehr schnell reagieren müssen. Manche Lieferzeiten haben sich – ohne Vorwarnung! – von zwei Monaten auf zwei Jahre verlängert. Über kurzfristige Zukäufe von Zwischenhändlern mussten wir öfter mal innerhalb eines Tages entscheiden, sonst war die Ware weg. Dabei ging es um Kosten, die sich zum Teil verdreißigfacht hatten! Die Situation ist auch jetzt noch kaum berechenbar. 10 bis 20 Vorprodukte, die wir brauchen, sind immer noch knapp.“

„Im Elektronikbereich ist unser größtes Problem nach wie vor der Chipmangel. Aber auch wenn ein anderes spezielles Bauteil für eine Leiterplatte fehlt, können wir das nicht so einfach ersetzen. Denn die Komponenten müssen ganz bestimmte Anforderungen erfüllen. Um ein alternatives Teil in eine Leiterplatte zu integrieren, müssen wir gegebenenfalls die gesamte Leiterplatte überarbeiten, inklusive der Software-Anpassungen und der dadurch erforderlichen Qualifizierungsprüfungen. Das bedeutet viel Aufwand und Kosten. So kann der Ersatz eines fehlenden Controllers – das ist das Herzstück unserer Leiterplatten – ein halbes Jahr oder sogar länger dauern.

Warum wir diesen Aufwand auf uns nehmen? Damit unsere Kunden keine Produktionsausfälle haben. Für uns geht es um die Lieferfähigkeit eines Teilsystems – für unseren Kunden aber zum Beispiel um eine Landmaschine oder vielleicht um ein wichtiges medizinisches Gerät.“

„Im Vergleich zu 2021 hat sich die Situation zwar gebessert, aber noch lange nicht normalisiert. Letztes Jahr haben wir mit einigen Kunden feste wöchentliche Meetings eingerichtet, um einen regelmäßigen Austausch über tatsächliche Bedarfe und Engpässe zu haben. Unsere Lieferfähigkeit steht an allererster Stelle, damit bei den Kunden auf keinen Fall die Bänder stillstehen. Das ist uns gelungen, wir sind immer lieferfähig geblieben.

Wenn wir Prioritäten setzen mussten, dann nicht nur nach Größe der Kunden, sondern auch nach Dringlichkeit. Die höheren Beschaffungskosten haben wir zunächst selbst geschultert und unsere Preise erst spät erhöht. Im Laufe der letzten zwölf Monate hat sich bei vielen Kunden ein Verständnis entwickelt, dass diese Preisanpassungen aufgrund der Entwicklungen am Markt notwendig sind.“

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In voller Hässlichkeit zeigt sich das Problem erst, wenn die Abrechnung für 2022 ins Haus flattert: Gas ist mindestens doppelt so teuer wie 2021. Heißt: Man sollte schon jetzt finanziell vorsorgen für die Nachzahlung.

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