Metamaterial löst Integralgleichungen - Forscher entwickeln den ersten rein photonischen "Taschenrechner" - scinexx.de

2022-09-10 14:44:56 By : Ms. Coco Gao

Wellenleiter als analoge Rechenmaschine: US-Forscher haben einen Kunststoffblock konstruiert, der rechnen kann – er löst blitzschnell Integralgleichungen. Dafür benötigt dieser Computer jedoch keine Elektronik, sondern nutzt allein Licht als Rechenmedium. Die spezielle Struktur des Metamaterials manipuliert diese Strahlung entsprechend bestimmter Gleichungen. Das Spannende daran: Ein solcher „photonischer Taschenrechner“ ist viel schneller als jeder normale Computer, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.

Metamaterialien sind Strukturen, die Strahlung auf ungewöhnliche Weise brechen und manipulieren können. Sie können beispielsweise Licht bremsen, stoppen oder seine Phasengeschwindigkeit unendlich groß machen. Das Spannende daran: Diese Eigenschaften machen Metamaterialien zu vielversprechenden Ausgangsstoffen für neuartige Linsen, Tarnkappen oder sogar Miniatur-Wurmlöcher. Aber auch in der optischen Datenverarbeitung könnten Metamaterialien künftig zum Einsatz kommen.

Eine ganz neue, ungewöhnliche Anwendung eines Metamaterials stellen nun jedoch Nasim Estakhri und sein Team von der University of Pennsylvania in Philadelphia vor. Denn sie haben ein Metamaterial entwickelt, das rechnen kann – es löst lineare Integralgleichungen. Die zu lösende Gleichung bekommt dieser photonische Taschenrechner in Form von elektromagnetischen Wellen mit bestimmten Merkmalen – im aktuellen Experiment sind dies monochromatische Mikrowellen.

Der eigentliche Rechner besteht aus einer Kunststoffplatte aus Polystyrol: „Unser Gerät umfasst einen Block aus dielektrischem Material, das eine ganz spezielle Verteilung von Luftkammern enthält“, erklärt Estakhri. Diese Luftkammern sind so angeordnet, dass sie die Strahlung nach bestimmten Rechenregeln leiten. In diesem Falle entsprechend der Fredholmschen Integralgleichung der zweiten Art, wie die Forscher erklären. Diese Gleichung wird häufig genutzt, um physikalische Zusammenhänge zu beschreiben.

Wenn nun Strahlung diesen photonischen Rechner durchläuft, verändert die innere Struktur des Metamaterials die Eigenschaften und den Weg der Strahlung auf bestimmte Weise. „Das was aus diesem System herauskommt, ist dann die Lösung für die Integralgleichung“, erklärt Estakhri. An den Parametern der resultierenden Strahlung lässt sich dann beispielsweise die erste oder zweite Ableitung der Ausgangsgleichung auslesen.

Die Forscher vergleichen das Prinzip dieses photonischen Rechners mit den ersten analogen Computern: Bei diesen dienten Lineale, Zahnräder und andere auf festgelegte Weise bewegliche Teile als Rechenoperatoren. Auch die zur Entschlüsselung der Enigma-Geheimcodes eingesetzten Computer nutzten drehbare Trommeln zum Rechnen. Erst mit der Entwicklung der ersten elektrischen Computer wurde dieses Prinzip von Transistoren und anderen elektronischen Bauteilen ersetzt.

Der große Vorteil des rechnenden Metamaterials: Es ist um mehrere Größenordnungen schneller als elektronische Rechner und benötigt noch dazu kaum Energie. „Mit Mikrowellen bekommen wir die Lösung in wenigen hundert Nanosekunden“, berichtet Koautor Nadre Engheta. „Wenn wir das System auf sichtbares Licht umstellen, könnte die Rechenzeit auf Pikosekunden absinken.“ Denn wegen der kleineren Wellenlänge wäre dann der Rechner viel kleiner, was auch den Strahlenweg verringert.

Praktisch einsetzbar wären solche Metamaterial-Rechner überall dort, wo Rechnungen mit festen Gleichungen nötig sind – und sich quasi nur die Zahlenwerte ändern. Auf Größe eines Chips skaliert, würden sie ein ultraschnelles analoges Rechnen ermöglichen, so die Forscher. Dabei könnten diese photonischen Taschenrechner sogar rekonfigurierbar werden: „Man könnte die Technik hinter den wiederbeschreibbaren CDs nutzen, um neue Wellenleiter-Muster im Material zu erzeugen“, so Engheta. „Dann könnte eines Tages jeder seinen eigenen rekonfigurierbaren Analog-Computer zuhause haben.“ (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aaw2498)

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